Sie war nicht nur die erste, sie war d i e deutsche Stummfilm-Diva schlechthin. Ihr Lebensweg und ihre Karriere
sind in über 170 Rollen eng mit der Geschichte des jungen deutschen
Films verbunden. 1914 wurde sie von der Zeitschrift „Kunst im Kino“
als „die beste deutsche Kinodarstellerin“ gefeiert, als „weiße
Göttin der Massen“, als „Vereinigung von Gretchen und Germania“ und
„Ideal der deutschen Frau“ verehrt. Der „Brockhaus“ bildet heute
noch ihr Foto ab und schreibt: „entwickelte sich rasch zu einem der
gefeiertsten Stars des frühen deutschen Films.“ Ihr Ruhm war in den
Zwanziger Jahren ebenso extrem wie ihr Fall ins Vergessen nach dem
Zweiten Weltkrieg. Zwölf Jahre ihres Lebens verbrachte sie in
Ratzeburg.
Die Rede ist von Henny Porten, an die sich heute immer weniger
Menschen erinnern. Sie hatte nicht den Glamour und die Erotik einer
Dietrich oder Garbo, sie war und verkörperte lange vor dem
Nationalsozialismus perfekt das Bild blonder deutscher Fraulichkeit,
ein Typ, der durch den ideologischen Missbrauch im Dritten Reich
auch mit diesem obsolet wurde.
Im Geleitwort zu einer 1919 herausgegebenen, sogenannten
„Selbstbiographie“ (die jedoch weder von ihr selbst geschrieben,
noch autorisiert worden war) heißt es: „An Beliebtheit kommt ihr
keine gleich, weil keine wie sie in ähnlichem Maße all die Vorzüge
und idealen Eigenschaften vereinigt, die für den Deutschen nun
einmal zu der Frau seiner Träume und seiner Sehnsucht gehören.“
01)

Abb. 1
Künstlerpostkarte:
Henny Porten als „Dämonische“ –
ein damals oft verlangtes Stummfilm-Rollenfach,
um 1910
(Mausklick ins Bild vergrößert die Darstellung)
Eine literarische Zeitschrift hatte 1921 mehr oder weniger
scherzhaft vorgeschlagen, Henny Porten zur Reichspräsidentin zu
wählen. 02) 1926 erschien sogar ein russisches Buch über sie. 1928
wurde von Oskar Kalbus bei der Ufa ein Dokumentarfilm über sie
gedreht: „Henny Porten. Leben und Laufbahn einer Filmkünstlerin“.
01) Henny Porten: Wie ich wurde.
Selbstbiographie. Berlin 1919, S. 5.
02) Kurt Pinthus: Henny Porten als
Reichspräsident. In: Tage-Buch, Nr.41, 15.10.1921.
02
03

Abb. 2
Künstlerpostkarte: Henny Porten als „jugendliche Naive“, um 1916
Ihre Bekanntheit in den Zehner und Zwanziger Jahren lässt sich schon
allein daran ermessen, dass der Berliner Ross-Verlag, der berühmt
für seine qualitätvollen Künstlerpostkarten war (von denen er
1920-40 insgesamt mehr als 13.000 herausgegeben hatte), in den
ersten 25 Bildern, die wohl 1916 noch unter dem Titel „Film-Sterne“
03)
bei der Firma „Rotophot“ erschienen waren, ausschließlich Fotos von
Henny Porten präsentierte (Abb. 2). Über 700 Motive mit der Porten,
auch von anderen Verlagen, sollten folgen (Abb. 3/4).

Abb. 3:
Signierte Künstlerpostkarte: Henny Porten, um
1916

Abb. 4:
Künstlerpostkarte: Henny Porten, um 1920
03)
Nr.61, 1-6; 62, 1-5; 63, 1-5; 64, 1-4 und 65,1.
Nummern vor 61 sind nicht nachweisbar.
04
Erste „Tonbilder“ für Guckkästen
Sie wurde am 7. Januar 1890 geboren. Als Kinder tanzten und sangen
ihre Schwester Rosa und sie auf Vereinsfeierlichkeiten und
Wohltätigkeitsveranstaltungen. Besonders erfolgreich war ein Duett,
bei dem sie als „Meißner Porzellanfigürchen“ auftraten, wobei Henny
den Rokoko-Kavalier gab. Als der Vater, Franz Porten, von Oskar
Messter 1906 auf Vermittlung des großen Operettenkomponisten Paul
Lincke den Auftrag erhielt, für Guckkästen kurze Stummfilme (sog.
„Photophone“ oder „Biophon-Tonbilder“) zu inszenieren, wurde die
Szene auf Film festgehalten. Die „Messter-Filmgesellschaft Berlin“
war die erste deutsche Firma, welche die aus dem Ausland kommende
Idee des Filmens aufnahm. Die ersten Filme dieser Art mit einer
abgeschlossenen Handlung spielten Henny Porten und ihre Schwester.
Grundlage war immer eine Grammophonplatte mit berühmter Musik, die
abgespielt wurde und zu der die Schauspieler theatralische Posen und
möglichst synchrone Lippenbewegungen - oft in fremden Sprachen -
vollführen mussten. An einem Tag wurden drei bis vier solcher
Filmchen gedreht, die dann in Schaubuden oder Varietés liefen. Der
Vater fungierte hierbei gleichzeitig als Regisseur und Darsteller.
Er war eigentlich Opernbariton und leitete zunächst das Stadttheater
in Dortmund, wo die kleine Henny erste Kinderrollen spielte. Als er
damit aber nach nur einem Jahr in Konkurs ging, kehrte die Familie
1895 völlig verarmt nach Berlin zurück – finanzielle Rettung brachte
die Produktion der „Tonbilder“.
Henny Porten berichtete später, wie es bei diesen Dreharbeiten der
ersten Stunde zuging: „Die Grammophonplatte war ... das Fundament
meiner ersten Filmarbeit ... Mein Vater suchte eine schöne Platte
aus. Da sang z. B. Caruso irgendein Duett mit Geraldine Ferrar aus
irgendeiner Oper, und am nächsten Morgen standen wir dann im
Filmatelier. Flugs wurde die Dekoration zusammengestellt, Kostüme
beschafft, auf Sonne gewartet und nun das Duett ... dargestellt.
Vater spielte immer die Rolle des Heldentenors, und ich, ein halbes
Kind noch, war seine Partnerin. Caruso und die Ferrar sangen, und
wir in kostbar glitzernden Gewändern (fünf Mark pro Tag Leihgebühr)
mimten ihre auf der Platte unhörbaren Gesten.... Der Operateur
kurbelte alles in einer Einstellung. Die Platte lief etwa drei
Minuten. Unsere wildbewegte Kunst mußte also ebenso lange dauern,
und schon war der Film fertig.“ 04)
Henny Porten spielte auch Szenen für die „Deutsche Mutoskop- und
Biograph GmbH“, die in den Mutoskop-Guckkästen eingesetzt wurden,
die in Gartenlokalen oder in den Stadtzentren aufgestellt waren und
nach dem Prinzip des „Daumenkinos“ funktionierten, also durch
Kurbeln des Betrachters am Gerät zahlreiche zweidimensionale Bilder
schnell abblätterten und so Bewegung vortäuschten. Diese Arbeit, wie
auch ihre genaue Beobachtungsgabe, ersetzte ihr eine
Schauspielausbildung. Als Regisseur fungierte hierbei auch schon der
später erfolgreiche Carl Froelich, der noch für sie Bedeutung
erlangen sollte.
Eines Tages beobachteten die Schwestern blinde Frauen und waren
davon so beeindruckt, dass Rosa ein Manuskript schrieb, das unter
dem Titel „Das Liebesglück einer Blinden“ Oskar Messter vorgelegt
und von diesem 1910, nach anfänglichen Bedenken, mit Henny Porten in
der Hauptrolle produziert wurde - allerdings ohne Namensnennung der
bis dahin unbekannten Anfängerin. Der Film wurde ein großer Erfolg
und man wollte wissen,
04) Henny Porten: Vom „Kintopp“ zum
Tonfilm. Ein Stück miterlebter Filmgeschichte. Dresden 1932, S.
45-46.
04
05
wer sich hinter der „jungen Blinden“ verbarg.
Henny Porten wurde von Messter fest angestellt. Soweit die
anekdotische Geschichte für Bücher, Presse und Publikum, die Henny
Porten selbst gern erzählte. Die tatsächlichen Anfänge waren wohl
nicht ganz so märchenhaft - sie spielte schon vorher in drei
Filmdramen mit. Dennoch kennzeichnet die Art und Weise, wie eine
solche Geschichte kolportiert wurde, etwas Neues in Deutschland: den
Beginn des Starkults.
Anfänge des deutschen Films
Die junge Filmindustrie erhielt jedoch zunächst durch den Beginn des
Ersten Weltkrieges einen gewaltigen Rückschlag: Henny Portens
Ehemann (gleichzeitig auch Filmpartner und Regisseur) Curt A. Stark
wurde eingezogen und wenig später getötet, Oskar Messter meldete
sich freiwillig, wie auch viele Kameramänner und Techniker. Der
Deutsche Film schien am Ende, kaum dass er begonnen hatte. 1915
initiierte Henny Porten angeblich persönlich die Wiederaufnahme der
Arbeiten zum Film "Das Ende vom Liede“ und profitierte erfolgreich
von den beruflichen Erfahrungen, die sie bei ihrem Mann gesammelt
hatte. Porten-Filme, zu deren Team seit 1916 Robert Wiene als Autor,
Ludwig Kainer als Architekt und Karl Freund als Kameramann gehörten,
standen nun an der Spitze deutscher Kino- und Kassenerfolge. Sie
ging schließlich bei „Messter-Projektion“ Verträge ein und wurde
gegen ihren Willen beim Verkauf der Messters-Gesellschaft von der
neugegründeten Universum-Film AG (Ufa) übernommen. Ihr behagte es
nicht, dass die neue, von Deutschem Reich und Deutscher Bank
gegründete, gigantische Filmfirma von General Ludendorff initiiert
worden war und auch vom Militär kontrolliert wurde.
Die Anfänge des Films waren in vielerlei Hinsicht bescheiden, doch
Henny Porten glaubte schon früher als andere an die künstlerischen
Möglichkeiten und die erzieherische Wirkung des neuen Mediums
Stummfilm - damals „Lichtspiel“ genannt. "Ich habe meine Arbeit für
den Film von Anfang an sehr ernst genommen. Ich habe an ihn und
seine künstlerischen Möglichkeiten geglaubt, als ihn noch niemand
ernst nahm und als es auch tatsächlich nicht leicht war, ihn ernst
zu nehmen." 05) Sie war so fest vom Entwicklungspotential des Films
überzeugt, dass sie eine zunächst angebotene Karriere als
Bühnenschauspielerin nicht weiter verfolgte. Sie war die erste
„reine“ Filmschauspielerin - zu einer Zeit, als nur die
Theaterschauspieler „hoffähig“ waren.
Man muss sich heute klar machen, dass damals die Bühnenschauspieler
einen Text rezitierten, die Filmschauspieler jedoch im Stummfilm die
Handlung und die Gefühle nur durch Gestik und Mimik ausdrücken
mussten. Es war also eine ganz andere Spielweise gefordert, was von
Henny Porten nicht als Manko, sondern vielmehr als neue
künstlerische Möglichkeit verstanden wurde. Diese Auffassung hatte
sie so verinnerlicht, dass sie später dem Tonfilm zunächst ablehnend
gegenüber stand.
Auch bei der Herstellung eines Films forderte dieser von den
Darstellern ganz andere Talente als die Theaterbühne, da die
Handlung nicht fortlaufend, sondern nach den technischen
Erfordernissen oft in unzusammenhängenden Stücken und in großem
zeitlichen Abstand
05) Kintopp 1932, S.44.
05
06
voneinander gedreht werden musste. Der Film
schloss mit seiner endgültigen Fassung ab, die nicht mehr revidiert
und verbessert werden konnte - anders als ein Bühnenstück, dessen
erneute Aufführung dem Schauspieler immer wieder die Möglichkeit zur
Veränderung gab. Porten sah im stummen Film ein starkes,
künstlerisches Ausdrucksmittel und meinte sogar noch 1932, dass der
Stummfilm eines Tages ein Comeback feiern würde.
Anfangs war „Kintopp“ das Theater der armen Leute, ein billiges
Vergnügen in Schaubuden auf Jahrmärkten, das von den
Intellektuellen, gar vom Stammpublikum der Theater, verächtlich
belächelt und keinesfalls als salonfähig angesehen wurde. Ein
durchaus nachvollziehbares Urteil, bedenkt man die damals schlechte
technische Qualität der nur wenige Minuten dauernden, stummen
Schwarzweiß-Filmchen, die versuchten, durch Sensationen, wie
besonders tragische Schicksale oder besonders spärliche Bekleidung
der Darstellerinnen, das Volk auf niedrigem Niveau zu begeistern.
Die oft krude Handlung wurde durch Zwischentitel unterbrochen, meist
von einem Pianospieler mehr schlecht als recht musikalisch live
begleitet und von einem Kinoerklärer zusätzlich erläutert. Ein
Kinoprogramm-Abend bestand oft aus bis zu 19 Filmen – alles in allem
wenig mehr als eine kuriose Volksbelustigung; von künstlerischem
Wert konnte kaum die Rede sein.
Henny Porten glaubte hingegen fest, dass im Film mehr stecke, dass
man mit ihm moralisch und ethisch auf die Zuschauer einwirken, sie
erziehen und in „wertvollem Sinn“ beeinflussen könne. „Ich wollte
das Schicksal der Figur, die ich im Film spielte, von innen heraus
zum Ausdruck bringen. Ich wollte die Kunst der Mimik bis in ihre
letzten Möglichkeiten erschöpfen, und daher suchte ich mir für meine
Filme solche Frauenschicksale aus, bei denen die Tragik innerlicher
war, als sonst üblich. ... Ich wollte den Typus Frau wiedergeben,
der in sich alle weiblichen Eigenschaften vereinigte, die als
Vorzüge zu preisen sind. ... Selbst der kleinste und nichtssagendste
Film kann auf das naive Publikum einen so großen Einfluß ausüben,
daß er tief in das Gedächtnisvermögen des Zuschauers eindringt.
Infolgedessen hat jeder Film mehr oder weniger erzieherische
Bedeutung und erzieherischen Wert.“ 06)
Portens Engagement für den Film trug Früchte. Vor allem da, wo er
mit Außenaufnahmen in gewaltigen Naturkulissen oder mit Massenszenen
dem Theater überlegen war, fand er auch Beifall beim versnobten
Theaterpublikum, das beispielsweise bei der Premiere der
„Geier-Wally“ nach jedem Akt des Films applaudierte und „jede Scene,
jede Tat der Geierwally, mit Jubel, Lachen, Zurufen, Trauer,
lärmendem Beifall entgegengenommen wurde. ... Gibt es, gab es je in
den deutschsprachigen Ländern einen Menschen, der so bekannt und
geliebt war im Volke wie diese blonde Frau?“ 07)
Die Porten gibt dem Film künstlerische Qualität: „Rose Bernd“
Henny Porten glaubte daran, dass der Film dem Theater künstlerisch
nicht unterlegen und nicht weniger seriös sein muss. Gleichzeitig
war dies auch ein Kampf um die soziale Anerkennung des Berufs der
Filmschauspieler, deren Namen zunächst nirgendwo – nicht einmal in
den wenigen Filmkritiken – genannt wurden. Erstmals wurde Asta
Nielsen als „namhafter“ Star aufgebaut – gefolgt um 1912 von Henny
Porten.
06) Wie ich wurde, 1919, S. 32.
07) Kurt Pinthus: Henny Porten als Reichspräsident. In:
Tage-Buch, Nr.41, 15.10.1921.
06
07
Einen großen Durchbruch auf dem Weg, dem Film künstlerische
Anerkennung zu verschaffen, erreichte sie 1919, als sie dem
angesehenen Dichter Gerhart Hauptmann die Zustimmung zur Verfilmung
seines Schauspiels "Rose Bernd" als Stummfilm abringen konnte.
Hauptmann erlebte kurz zuvor in Dresden, wie Tausende von Menschen
das Hotel, in dem Henny Porten abgestiegen war, umlagerten und sie
dann in einer offenen Kutsche unter großem Jubel durch die Stadt
zogen. Er schrieb ihr: „Ich war so froh, mitzuerleben, wie tief Ihre
Kunst in das Volk gedrungen ist.“ Zunächst ging ein Sturm der
Entrüstung durch die Presse, dass sich jemand erdreisten wollte, aus
anerkannter Literatur einen Stummfilm zu machen und von einem
„Verbrechen an der Dichtung“ war die Rede. Die Porten überzeugte
aber zunächst die Ufa-Verantwortlichen, Hauptmann und alle Kritiker
durch die Darstellung der seelischen Verlassenheit der Titelfigur;
erstmals wurde im Film eine derartige darstellerische Leistung
gezeigt. Ihr Partner war Emil Jannings (Abb. 5).

Abb. 5:
Henny Porten mit Emil Jannings in „Rose Bernd“,
1919
Die Premiere am 5.
Oktober 1919 war ein großer Erfolg; der Prestigegewinn der
Kinematographie beim deutschen Bildungsbürgertum und das Lob der
Kritik waren enorm. Der bekannteste Kritiker, Alfred Kerr, schrieb
in einem großen Feuilleton: „Dieser Film ... ist ein Markstein in
der Geschichte des deutschen Films.“ Und Fritz Engel: „Auch ein
berüchtigter ‚Filmfeind‘ muß sagen, und sagt es frei und laut, daß
sie eine Künstlerin ist.“ 08) Zur 75. Aufführung im Berliner Mozartsaal
getraute sich schließlich auch Gerhart Hauptmann erstmals zu einer
öffentlichen Vorführung. Er verneigte sich vor der Darstellerin, die
kühn und erfolgreich einen neuen Schritt deutscher Filmgeschichte
gewagt hatte. Er nannte sie „die Frau mit den
08) Berliner Tagblatt, Nr.471,
6.10.1919.
07
08
wahren Goetheaugen“
und sagte ihr ergriffen: „ ... daß [er] Ihre Leistung in die Reihen
der Allergrößten stelle.“ Damit sanktionierte der Nobelpreisträger
den Film als Kunst. Henny Portens ehrgeiziges Ziel war erreicht.
Sie versuchte diesen Weg konsequent fortzusetzen und Einflüsse von
Theater, Literatur und bildender Kunst in den Film einzubringen.
Auch bei ihr selbst zeigten sich vielseitige künstlerische
Interessen: Sie hatte Talent zum Tanz und auch zum Gesang, sie pfiff
(dies ist sogar auf einer Schellackplatte festgehalten), spielte
Klavier, entwarf Kleider, schrieb Buchmanuskripte, Drehbücher und
Filmexposés, entwarf Dekorationen, zeichnete recht beachtlich ihre
Kollegen bei den Filmproben und schuf 1919 ohne Modell die
Bronzebüste eines Bauernmädchens - für ein Erstlingswerk von
beachtlicher Qualität. Sie hatte Interesse an der bildenden Kunst:
So ließ sie sich 1920 von Emil Orlik porträtieren und kein
Geringerer als Lovis Corinth zeichnete, lithographierte
09) und malte
sie im gleichen Jahr in ihrer Rolle als Anna Boleyn. Corinth schrieb
über die Porten: „Wenn ich an die Seligkeit glaubte, würde ich sie
um diese Frau verkaufen. Das ist märchenhaft.“ Allerdings
entsprachen die expressiven Striche Corinths nicht wirklich ihrem
Verständnis von natürlicher Harmonie und Naturalismus und sie teilte
das Entzücken Corinths über sein Werk nicht, fühlte aber, dass
„etwas Großes vor sich geht.“ Ihr Credo war die Schönheit. „Versucht
im Leben das Wenige herauszuheben, was schön, was ästhetisch ist,
und versucht, euch damit zu umgeben, damit ihr durch den Einfluß des
Schönen selbst edel und gut werdet.“ 10) Sie sammelte Glasbilder und
Puppen sowie bäuerlichen Hausrat. „Manche sagen sicher, die Porten
ist doch eine schrecklich sentimentale und altmodische Seele. Und
die, denen ich unsympathisch bin und die schon darum kein Blatt vor
den Mund nehmen, schelten mich verkitscht.“ 11)
Höhepunkte der Beliebtheit

Abb. 6:
Henny Porten als „Anna Boleyn“, 1920
1920 lieferte Henny Porten gleich zwei Kassenschlager: Der Stummfilm
„Anna Boleyn“ war, mit Millionenaufwand gedreht, die bis dahin
teuerste Ufa-Produktion (Abb. 6). Auch hier setzte sie in der
Titelrolle neue Maßstäbe in der deutschen Filmgeschichte. Der
Regisseur war Ernst Lubitsch, einer der ersten und stärksten
Pioniere des jungen Films, ihr Partner wieder Emil Jannings als
Heinrich VIII. Bei den Massenszenen wirkten über 4500 Menschen mit.
Der Film begann hier, seine Vorzüge gegenüber der Theaterbühne
auszuspielen und „Anna Boleyn“ markierte diesbezüglich den Anfang
einer neuen Filmepoche. Selbst Reichspräsident Ebert besuchte die
Porten bei den Dreharbeiten. „Anna Boleyn“ war auch, wie gehofft und
09) Herbert Eulenberg: Anna Boleyn.
Originallithographien von Lovis Corinth. Verlag Fritz Gurlitt,
Berlin 1920.
10) Wie ich wurde, 1919, S.
52.
11) Kintopp, 1932, S. 105.
08
09
geplant, international, vor allem in den USA, sehr erfolgreich.
Hollywood interessierte sich für die Stars und Jannings und Lubitsch
folgten der Einladung. Doch Henny Porten, die 1920 noch mit einer
Doppelrolle in dem Film „Kohlhiesels Töchter“, ebenfalls unter der
Regie von Lubitsch, erstaunte (Abb. 7), hatte andere
Ambitionen. Wieder ging sie einen ungewöhnlichen Schritt in die
stets von ihr verfolgte Richtung, dem deutschen Film durch Qualität
Geltung zu verschaffen: Sie gründete als erste Frau eine
Filmproduktionsgesellschaft. Im März 1921 entstand im Rahmen von
Hanns Lippmanns „Gloria-Film“ die „Henny Porten-Film GmbH“, von der
sie sich weitgehende Mitsprache in künstlerischer Hinsicht
versprach.

Abb. 7:
Henny Porten in einer Doppelrolle
in
„Kohlhiesels Töchter“, 1920
Ihr Ruhm und ihre Beliebtheit erreichten einen neuen Höhepunkt. Kurt
Pinthus schrieb: „Hier ist eine Gestalt, die in Deutschland
volkstümlicher ist, als es der alte Fritz, als der olympische Goethe
es je waren und sein konnten. Hier ist eine Gestalt, die bei den
Angehörigen aller Parteien, bei jung und alt, in allen Ständen und
Schichten, gleicherweise bekannt und beliebt ist. ... die von der
Frauenwelt Deutschlands längst schon stillschweigend als Königin
anerkannt wird.“ 12) Nicht ganz ernst, aber mit viel Emphase, schlug
Pinthus gar vor, Henny Porten zur Reichspräsidentin zu wählen.
Beim Film „Die Geier-Wally“ bezahlte man ihr eine Star-Gage von
500.000.- Mark, während die Gagen aller restlichen Schauspieler
zusammen nur mit etwas mehr als 100.000.- Mark zu Buche schlugen. In
dieser Zeit erhielt sie täglich mehr als 100 Briefe begeisterter
Fans. Besonders von jungen Mädchen, die auch zum neuen Medium Film
wollten, wurde sie umschwärmt und bedrängt. Im Geleitwort zur
Autobiographie von 1919 wird an deren Adresse vermerkt: „ ... und
ihr werdet Henny Portens Selbstbiographie mit den vielen, schönen
Bildern gewiß hoch und heilig halten und das Büchlein in jenem
Geheimschubfach verwahren, wo neben verwelkten Blumen auch ein paar
Briefe, mit blauen und roten Bändchen verschnürt, ganz heimlich und
verschwiegen ruhen.“
Henny Porten erzählte in ihrer Autobiographie von 1932 eine damals
Jahre zurückliegende Geschichte von einem kleinen Mädchen, das ihr
hinter einer Litfaßsäule auflauerte, um eine Künstler-Postkarte zu
überreichen, deren Porten-Porträt sie selbst koloriert hatte. Später
fand
12) Kurt Pinthus: Henny Porten als
Reichspräsident. In: Tage-Buch, Nr.41, 15.10.1921.
09
10
das gleiche Mädchen am Geburtstag der Porten
Einlass ins Haus und brachte ihr auf dem Flur ein Violinständchen,
das „Engelslied“ von Braga. Sie wiederholte dies zu einem weiteren
Geburtstag in Garmisch-Partenkirchen (das man mittlerweile
scherzhaft „Portenkirchen“ nannte), wohin sie dem Star nachgereist
war. Zu Premieren sandte sie der Porten Cremeschnitten und ein
selbstbesticktes Gobelinkissen - das Mädchen war Marlene Dietrich.
Diese spielte als Geigerin im Orchester von Giuseppe Becce, u. a.
auch zu Filmpremieren der Porten. Marlene Dietrich bestätigte diese
Geschichte in ihren Lebenserinnerungen und fügte hinzu, dass die
Porten das Kissen in einem ihrer nächsten Filme als Requisit
verwandte, was der jungen Dietrich während der Premiere im
vollbesetzten Kino einen Aufschrei des Entzückens entlockte.

Abb. 8:
Ein Foto von ihrer Vermählung
mit Dr. Wilhelm
von Kaufmann-Asser kam 1921
als Künstlerpostkarte im
Ross-Verlag heraus.
Am 24. Juli 1921 heiratete Henny Porten den Arzt Dr. Ritter Wilhelm
von Kaufmann-Asser (Abb. 8) - von ihr „Helmi“ genannt. Er war
Leiter des Sanatoriums "Wiggers Kurheim" in Garmisch-Partenkirchen.
Dort lernte er die Porten kennen, die sich nach einem
Nervenzusammenbruch auskurierte. Ein übler Geschäftsmann hatte sie
um 750.000.- Mark, ihr ganzes Vermögen, betrogen - ein schwerer
Schlag für die in Armut aufgewachsene Frau. Kaufmann gab die Klinik
auf und übernahm noch im selben Jahr bis 1931 die Produktionsleitung
bei den Filmen der „Henny Porten-Film GmbH“.
Henny Porten lebte nun in einem Landhaus im schönsten Berliner
Villenvorort Dahlem in der Parkstraße 76 und wurde von ihren
Zuschauern vergöttert. Ihre opulent eingerichteten Zimmer (Abb. 9) wurden von dem bekannten Fotografen Waldemar Titzenthaler für die
Berliner Zeitschrift „Die Dame“ 1921 fotografiert. 13) Das
Speisezimmer war mit schweren Intarsienmöbeln aus edlen Hölzern und
chinesischen Vasen ausgestattet, das Besuchszimmer mit einem offenen
Fayence-Kamin, das Herrenzimmer und die Bibliothek hatten in die
Wand eingelassene Bücherregale und einen hohen Gemäldefries.
Ankleide- und Schlafzimmer der Porten entzückten die Damenwelt mit
einem verspielten Pseudo-Rokoko (Abb. 10). Die Accessoires
waren nicht minder wertvoll: Kristallwaren, feine Porzellanfiguren,
Gemälde, wertvolle Graphiken, reich ornamentierte Brokattapeten und
Perserteppiche schufen eine luxuriöse Atmosphäre.
13) Enno Kaufhold: Berliner Interieurs 1910-1930.
Photographien von Waldemar Titzenthaler. Berlin 1999,
Taf. 48-51.
10
11

Abb. 9:
Abbildungstafel aus der Porten-Biographie
von
Gustaf Holberg von 1920
11
12

Abb. 10:
Ankleide- und Schlafzimmer der Porten
in ihrer
Villa in Berlin-Dahlem, 1921
Den Begriff „Diva“, den sie unzweifelhaft
verkörperte, hörte sie angeblich ungern. „Der Begriff ‚Diva‘ ist
etwas Unwirkliches ... Eine Diva existiert nur in der Begriffswelt
des naiven Publikums und gewisser Zeitungsschreiber.“ 14)
Ein filmkünstlerisches Wagnis: Die „Hintertreppe“ bringt den
Misserfolg
Nach dem großen Kassenerfolg des Stummfilms "Die Geier-Wally" konnte
sich die „Henny Porten-Film GmbH“ finanziell ein ersehntes
Experiment leisten: 1921 produzierte man das ambitionierte und
dramatische Kammerspiel "Hintertreppe", mit dem neue künstlerische
Wege beschritten wurden: so verzichtete man etwa auf störende
Zwischentitel. Der Film war dem Expressionismus verhaftet. Als
Drehbuchautor zeichnete Carl Mayer, dessen „Cabinet des Dr.
Caligari“ heute noch bekannt ist und für diesen neuen,
ungewöhnlichen Stil steht. Auch die bewusst wie Gemälde anmutenden
Bühnenbilder und -bauten der beiden Filme waren von ähnlicher Art.
Hier wollte Henny Porten ihre hohen künstlerischen Ansprüche an den
Film erstmals kompromisslos umsetzen. „Ich sehe im Film die höchsten
künstlerischen Möglichkeiten, und ich glaube, daß diejenigen, die
ihn als Kunstersatz bezeichnen, sein ei-
14) Kintopp, 1932, S. 47f.
12
13
gentliches Wesen nicht erfaßt haben.“ 15) Als Regisseur
wurde kein Geringerer als Leopold Jessner, der Intendant
der Berliner Staatstheater, verpflichtet.
Von der Kritik hoch gelobt, wurde der Film vom breiten
Publikum nicht verstanden und vielerorts ausgepfiffen.
„Und selten war wohl eine Arbeit von solch
künstlerischem Verantwortungsgefühl getragen wie jene.
Aber der ungeheuere Mißerfolg gerade dieses Films nahm
einem natürlich den Mut, sich weiterhin an solche
Experimente zu wagen. Denn solch ein Mißerfolg bedeutet
ja auch immer eine finanzielle Katastrophe.“ 16)
Nach drei weiteren erfolglosen Filmen ging ihre Firma
1923 in Konkurs. Künstlerisch ehrgeizige Projekte mit
finanziellen Verlusten, die Inflation, Uneinigkeit in
der Firmenpolitik und die Meldung, Henny Porten filme
für eine französische Firma, die vor dem Hintergrund der
französischen Ruhrgebietsbesetzung zu Empörung beim
Publikum führten, und der nun aktuell gemachte Vorwurf,
frühere Arbeiten wie "Der Feind im Land" und "Bergnacht"
trügen „antideutsche Züge“, führten zum Zusammenbruch
der Firma.
Selbstkritik war für Henny Porten eine wichtige
Eigenschaft. „Das Talent ... dafür kann man nichts. Aber
man kann sehr viel für das, was man aus ihm macht.
Fleiß, Hingabe, Verantwortungsgefühl und, um es noch
einmal zu sagen, vor allem Selbstkritik gehören dazu.“ 17)
Pflichtbewusstsein, Zähigkeit und Ernst gegenüber ihrer
Arbeit waren ihr nicht abzusprechen. Sie gab nicht auf.
Zum neuerlichen Durchbruch verhalf ihr das von Carl
Froelich produzierte und inszenierte Rührstück "Mutter
und Kind". Auch geschäftlich fand sie einen neuen
Anfang: Am 26. September 1924 erfolgte in Berlin die
Gründung einer „Henny Porten-Froelich Produktion GmbH“,
an der Porten, Froelich und Dr. Kaufmann beteiligt
waren. Bis 1929 entstanden unter diesem Dach 15
Produktionen, solides Filmhandwerk fürs breite Publikum;
Experimente wurden nun tunlichst gemieden. Die Presse
frohlockte: „ Ein reumütiges Zurück zu dem, was die
große Masse der Kinobesucher wirklich wünscht.“ Die Ufa
übernahm den Verleih und die Filme erschienen in 16
europäischen Hauptstädten.
Ein neuer Meilenstein: Der Tonfilm
1930 setzte Henny Porten einen weiteren Meilenstein:
Obgleich sie anfangs dem Tonfilm sehr kritisch gegenüber
stand, drehte sie mit G. W. Pabst als Regisseur ihren
ersten Tonfilm "Skandal um Eva" (Abb. 11). „Ich
muß gestehen, daß ich zuerst auch ein absoluter Gegner
des Tonfilms war, denn die ersten Eindrücke, die ich von
ihm empfangen hatte, waren für mich niederschmetternd
gewesen, obwohl alle Welt schon damals von dem großen,
kommenden Wunder ‚Tonfilm‘ sprach. Ich konnte mit dem
besten Willen nicht den Eindruck gewinnen, daß der
Mensch, der da oben auf der Leinwand sprach, und der Ton
eins waren. Die Stimmen der Schauspieler hatten für mich
einen unmelodischen, blechernen Klang; es fehlte ihnen
vollkommen der Schmelz und die Wärme der menschlichen
Stimme. Ich habe mir damals fest vorgenommen, nicht
mitzumachen.“ 18) Die Kunstform des Stummfilms war ihr ans
Herz gewachsen, ihm verdankte sie ihre Popularität und
die Umstellung zum Tonfilm war gefühlsmäßig schwierig.
Anfangs hatte sie das Gefühl, „mit dieser neuen Sache
nicht fertig zu werden. Aber dann habe ich mich
zusammengerissen, und in dem Augenblick, da ich im
Atelier stand
15) Kintopp, 1932, S. 56.
16) Kintopp, 1932, S. 62.
17) Kintopp, 1932, S. 55.
18) Kintopp, 1932, S. 67f.
13
14

Abb. 11:
Filmprogrammheft (IFK) zu:
„Skandal um Eva“,
Portens erstem Tonfilm, 1930
14
15
und die ersten Sätze sprach, hatte ich
eine ganz merkwürdige Empfindung: es war wie eine
Erlösung für mich; ich kam mir fast wie Dornröschen vor,
das aus hundertjährigem Schlaf erwacht.“ 19) Wie stark die
Sprache damals noch der Bühne vorbehalten war und das
Ertönen menschlicher Stimmen von der Grammophonplatte,
der Kinoleinwand oder gar aus dem Äther als ein Wunder
der Technik empfunden wurde, zeigt eine Erinnerung der
Porten an den Moment, da sie erstmals auf einer
Schiffsüberfahrt nach Schweden eine Rundfunksendung
hörte – „es war ein Augenblick, der für mich etwas
Überwirkliches, Geisterhaftes hatte. ... Es war ein
großes, ja gewaltiges, doch unheimliches Erlebnis.“ 20)
Die Entwicklung, die sie anfangs „für einen Rückschritt“
hielt, war nicht mehr aufzuhalten, die Kinos hatten
bereits technisch umgestellt, die Begleitorchester
entlassen.
„Skandal um Eva“ wurde ein Erfolg, auch die Stimme der
Porten begeisterte das Publikum, während manch andere
Stummfilmstars mangels Stimme den Sprung zum Tonfilm
nicht schafften. Bei der Premiere im Berliner Ufa-Palast
brach nach den ersten gesprochenen Sätzen der Porten
tosender Applaus los, in dem der Text völlig
unterzugehen drohte, so dass man noch einmal von vorn
beginnen musste.
Zehn Jahre zuvor hatte Henny Porten die Doppelrolle der
Liesel und Gretel in „Kohlhiesels Töchter“ gespielt. Nun
erfolgte eine Neufassung als Tonfilm, in dem sie sogar
mit sich selbst ein Duett sang. Die Herausforderung war,
neben zwei unterschiedlichen Charakteren auch noch zwei
völlig verschiedene Stimmen darzustellen. Erstmals kam
die Porten auf die Idee, den Ton zusammen mit Naturtönen
„live“ aufnehmen zu lassen; bislang hatte man die Texte
der Schauspieler im Atelier nachsynchronisiert. Die
Reaktionen in der Presse waren geteilt und zeigen auch
die Vorbehalte gegen den Tonfilm: „Kohlhiesels Töchter
stumm – ein Fortschritt zum deutschen Lustspielfilm.
Kohlhiesels Töchter tönend – ein Rückschritt zum
krachledernen Dorftheater. Aber ein Erfolg für Henny
Porten.“ 21) Für ihre schauspielerische Leistung in der
Doppelrolle zollte man ihr allgemein Anerkennung. „Der
Film wurde dann später auch in Amerika aufgeführt, und
dort erschien eine Kritik, die die Leistung der Henny
Porten sympathisch nannte, aber mit einigem Stirnrunzeln
bemängelte, daß die Filmgesellschaft den Namen der
Darstellerin unterschlagen habe, die die häßliche
Kohlhiesel spiele und die ja die viel interessantere
Schauspielerin sei ...“. 22) Dies ist ein anekdotischer
Beleg für die Wandelbarkeit der Porten, die oft in
Masken und Verkleidungen schlüpfte, in denen sie kaum
mehr zu erkennen war.
Die beiden Lieder, die sie in dem Tonfilm „Kohlhiesels
Töchter“ sang, wurden 1930 auch auf Schellackplatte
festgehalten. 23) Eine weitere, kuriose Platte nahm sie
drei Jahre zuvor auf: auf der Vorderseite hört man, wie
Henny Porten dem berühmten Tenor Richard Tauber
Schauspielunterricht gibt, auf der Rückseite, wie dieser
sich bei der Porten durch Gesangsunterricht
revanchiert. 24) Mit Tauber verband sie über lange Jahre
hinweg eine herzliche Freundschaft. Sie verbrachte mit
ihm den letzten Abend vor seiner Emigration nach London.
1931 realisierte sie das seit langem geplante Projekt
"Luise, Königin von Preußen" unter der Regie von Carl
Froelich. Die Luise war einer ihrer Traumrollen. Ihr
Wunschpartner war kein Geringerer als Gustaf Gründgens,
der sich anfangs sehr kühl und reserviert benahm, aber
19) Kintopp, 1932, S. 70.
20) Kintopp, 1932, S. 114f.
21) Berliner Börsen-Courier, Nr.520, 6.11.1930.
22) Kintopp, 1932, S. 73.
23) Odeon O-11313
24) Odeon O-4007
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Abb. 12:
Henny Porten mit Gustaf Gründgens in:
„Luise,
Königin von Preußen“, 1931
dann dem Charme der Porten erlag und sie sogar vor ihrer
Garderobe küsste (Abb. 12). Porten schrieb 1931:
„Ich will von Politik nichts wissen. Ich will ein
Frauen- und Mutterschicksal zeigen.“ 25) Der Film wurde
jedoch äußerst kontrovers aufgenommen – wegen Pazifismus
von rechten Kreisen angegriffen, wegen des preußischen
Militärgeistes von Linken befehdet. Besonders der
pazifistische Schluss, der mit den Worten „Nie wieder
Krieg!“ endet, wurde ausgepfiffen und die Theater
kündigten reihenweise die Verträge. Die Porten erhielt
Morddrohungen. Schließlich kürzte der Verleih den Film,
besonders den Schluss, zu kritiklosem Militarismus. Der
Werbezettel propagierte nun: „Das Volk steht auf und der
Sturm bricht los!“ Doch es war bereits zu spät. An dem
Film, wie auch an anderen Gegebenheiten, ging Henny
Portens Firma im Sommer 1932 erneut in Konkurs. Sie nahm
nach diesem Fiasko erstmals Zuflucht zur Theaterbühne
und ging mit "Madame Sans-Gêne" auf Tournee.

Abb. 13:
Begeisterter Empfang für Henny Porten
1932 in
Köln (aus: Belach, S.32)
25) Henny Porten: Die Rolle, nach der ich mich sehnte.
In: Der Mittag, Düsseldorf, 19.10.1031.
16
17
Der Idealtyp der deutschen Frau und ideologische
Probleme im Dritten Reich

Abb. 14:
Signierte Autogrammkarte: Henny Porten, 1932
Dennoch war ihre Popularität ungebrochen und sie
mobilisierte Massen von Bewunderern, wo immer sie
auftauchte (Abb. 13). 1932 erschien eine zweite,
wesentlich umfangreichere Autobiographie, die diesmal
wohl auch weitgehend von ihr selbst verfasst worden war
und auf die Schwierigkeiten, mit denen sie damals zu
kämpfen hatte, nur am Rande einging. Statt dessen wurden
Töne angeschlagen, die das Wesen der Porten als
nationale, deutsche, blonde, saubere,
zurückhaltend-attraktive, natürliche, mütterliche,
pflichtbewusste, ideale Frau herausstellen – eine
Ideologie, die von den Nationalsozialisten aufgegriffen
und rassistisch übersteigert werden wird (Abb. 14). Die tiefe nationale Einstellung der Porten wäre für
eine unvergleichliche Karriere im Dritten Reich geradezu
ein Freibrief gewesen. „Ich glaube auch, daß nur dem
Film die Zukunft gehört, der national ist, der das
Gesicht und den Charakter seines Landes trägt. Der
verwaschene und verschwommene Allerweltsfilm, wie er
heute noch serienweise in Hollywood ... hergestellt
wird, hat, davon bin ich fest überzeugt, seine große
Blütezeit hinter sich. ... Jede Kunst muß für mein
Empfinden in ihrem Volk wurzeln, muß sich des Bodens
bewußt sein, aus dem sie kommt und an den sie gebunden
ist – nur dann wird sie an jener idealen Aufgabe
mitarbeiten können, die Völker zu versöhnen und die
zerrissene Menschheit aufs neue zu einigen.“ 26) In dieser
Autobiographie äußerte sie sich auch ausführlich über
ihre Rolle als ordentliche Hausfrau und gute Ehefrau,
über ihre Natürlichkeit und allgemein über deutsche
Tugenden. Auch die Rolle des Sports für das „Volksganze“
fand breite Erwähnung – sie liebte Bergwandern,
Skifahren, Schwimmen, Speerwerfen, Keulenschwingen und
Angeln.
Als „die deutscheste aller deutschen Schauspielerinnen“
wurde sie bezeichnet und mit ihrem erzieherischen
Anspruch an den Film versuchte sie den Typus der
„deutschen Frau“, den sie auch privat verkörperte, im
Film zu vermitteln. „Die Frau muß durchdrungen sein von
dem Gefühl, daß ihrer eine Aufgabe harrt, wie sie nie
größer gedacht werden konnte. Und sie muß daher erfüllt
sein von dem einen Gedanken, daß die Lösung dieser
Aufgabe höchste und heiligste Pflicht ist, um ihrer
selbst willen, zum Wohle ihrer Familie, ihrer Kinder und
zum Wohle des ganzen Volkes.“ 27) Solche, Henny Porten
schon 1919 in den Mund gelegte Worte und Ansichten
zeugten von einer aus der patriotischen Gesinnung des
wilhelminischen
26) Kintopp, 1932, S. 78f.
27) Wie ich wurde, 1919, S. 36.
17
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Kaiserreiches erwachsenen Ideologie,
welche die Nationalsozialisten nun für ihre Zwecke
weiter missbrauchen sollten. Vor allem in dieser Zeit
hätte ihr Typus ihre ohnehin bereits gewaltige
Popularität nur noch steigern können – ihr Film „Mutter
und Kind“ wurde 1933 sogar als „staatspolitisch
wertvoll“ ausgezeichnet (die Kopien für den Export
enthielten einen gesprochenen Vorspann "Liebe der Nazis
zu Heim und Herd") und Henny Porten spielte im gleichen
Jahr mit Heinz Rühmann und dem Hitlerjungen Quex in
einem kurzen Werbefilm für das Winterhilfswerk „Alle
machen mit“.
Kurz vorher, bereits wenige Wochen nach der Ernennung
Hitlers zum Reichskanzler, hatte der Minister für
Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels die
Grundzüge der nationalsozialistischen Filmpolitik
definiert: Der Film sollte "völkische Konturen"
erhalten. Auch die Filmpresse wurde offiziell der
persönlichen Kontrolle von Goebbels unterstellt und 1936
schließlich Kritik und jede individuelle Wertung durch
einen Erlass verboten. An die Stelle der Filmkritik trat
die "Filmbetrachtung", die sich auf dem Regime genehme
Inhaltsbeschreibungen zu beschränken hatte. Fortan wurde
an der totalen Kontrolle des deutschen Filmwesens
gearbeitet. Die Verstaatlichung der Filmindustrie
schritt voran, bis 1942 schließlich alle staatlichen
Filmfirmen zur Ufa-Film GmbH vereinigt wurden.
Henny Porten wurde nahegelegt, sich von ihrem jüdischen
Ehemann scheiden zu lassen, der aus Sicht der
Nationalsozialisten natürlich schlecht zum Bild der
idealen deutschen Frau passte. Dass Dr. Kaufmann Jude
gewesen sein soll, steht in fast allen Beiträgen über
Henny Porten zu lesen und so hat sie selbst es auch
stets erzählt. Dennoch spricht einiges dafür, dass er
gar kein Jude, sondern vielmehr nur jüdischer Abstammung
war, was jedoch im Dritten Reich Grund genug für
entsprechende Anfeindungen und Verfolgung war. Helga
Belach berichtet - leider ohne Angabe von Quellen - in
ihrer Biographie über Henny Porten, Dr. Kaufmann hätte
es nicht fassen können, dass ihm dies zum Verhängnis
werden sollte, denn die Familie sei seit langem
evangelisch gewesen; der Großvater war von Kaiser Franz
Joseph geadelt worden, der Vater, Königlich Preußischer
Geheimer Regierungsrat, hatte als Professor an Berliner
Universitäten gelehrt. 28) Bei der behördlichen Anmeldung
in Ratzeburg trug sich Dr. Kaufmann nach dem Krieg auf
der Meldekarte unter Religionszugehörigkeit mit „ggl.“
ein, was „gottgläubig“ bedeutete und als Synonym für
„konfessionslos“ gebraucht wurde. Der Begriff war von
den Nationalsozialisten eingeführt worden und wurde in
Religions-Statistiken neben evangelisch, katholisch und
jüdisch als eigene Kategorie gebraucht. 1940 warnte
Wilhelm Hauer in seiner Zeitschrift „Deutscher Glaube“
vor Juden, die aus den jüdischen Gemeinden austräten und
sich unter der Bezeichnung „gottgläubig“ zu tarnen
versuchten, um der Vernichtung zu entgehen. Diese
Bezeichnung käme nur Nationalsozialisten zu, niemals
aber „Fremdrassigen“; der Missbrauch sei anzuzeigen.
Wäre Dr. Kaufmann also Jude gewesen, hätte er diese
Bezeichnung während des Dritten Reiches auch durch
Verleugnung seines Judentums kaum erlangen können und
nach dem Krieg hätte er keinen Grund mehr gehabt, seinen
jüdischen Glauben hinter dieser Bezeichnung zu
verstecken – im Gegenteil, er hätte durch den „Verein
für rassisch Verfolgte des Naziregimes“, zu dem er in
Ratzeburg Kontakt hatte, nun eher Vorteile aus seiner
Glaubenszugehörigkeit ziehen können. Auch wurde er in
Ratzeburg niemals bei der Ausübung irgendeiner
religiösen Tätigkeit beobachtet und auch im Haus gab es
keinerlei religiöse Symbole, so dass der Schluss nahe
liegt, Dr. Kaufmann sei zwar jüdischer
28) Vgl. Helga Belach: Henny Porten. Der erste deutsche
Filmstar 1890 - 1960. Berlin 1986, S. 114.
18
19
Abstammung,
jedoch auch schon im Dritten Reich konfessionslos
gewesen. Dies ergibt Sinn, denn möglicherweise war dies
der Grund, warum die höchsten NSDAP-Funktionäre bis zum
Ende des Regimes an Henny Porten festhalten konnten,
obwohl sie die gewünschte Scheidung stets strikt
ablehnte und sich dadurch massiven Schwierigkeiten
aussetzte. Nur die Protektion durch Göring und Hitler,
der die Porten persönlich sehr bewunderte und jeden
ihrer Filme kannte, sowie ihre weiterhin ungebrochene
Popularität schützte sie vor Goebbels, der sie mehrfach
zu langen Gesprächen einbestellen ließ und ihr Steine in
den Weg legte, wo immer er dies unauffällig tun konnte.
Henny Porten schilderte in ihren Tonbandaufzeichnungen 29)
die Ängste, die mit offiziellen Veranstaltungen
verbunden waren, wie etwa die persönliche Einladung von
Adolf Hitler zu einer Gala am „Tag der Deutschen Kunst“
nach München. „Es war ein Gewühle und ein Gesumme, das
glitzerte nur so von goldstrotzenden Uniformen und
Orden. Die Frauen hatten sich überboten in dem Luxus
ihrer Abendkleider. Das schimmerte und gleißte in Gold-
und Silberbrokat, in Straßstickereien, Hermelinmänteln
und tiefen, sehr tiefen Dekolletés. Ich trug an diesem
Abend ein zwar sehr festliches, aber ganz einfaches,
schwarzes Velourchiffonkleid, hochgeschlossen, mit einem
sehr langen, schwarzen Cape, das innen mit einem
silbernen Futter gefüttert war.“ Nach einer persönlichen
und überraschend herzlichen Begrüßung durch Hitler lud
dieser sie für den nächsten Tag zu einem Fest im
Künstlerhaus als einzige Dame an seinen Tisch ein, wo er
lange und besonders freundlich mit ihr über ihre Filme
sprach und ihr Komplimente und Hoffnungen auf große
Rollen machte. Die Lage für ihren Mann änderte sich
damit nicht, aber einige Filmangebote wurden ihr wenig
später gemacht, sie wurde sogar auf die sog. „Liste 1“
gesetzt, d. h. die Produktionschefs der Filmfirmen waren
gehalten, geeignete Rollen an die Reichsfilmintendanz zu
melden.
Porten schilderte auch ein Zusammentreffen mit Hermann
Göring, der nach eigenem Bekunden als junger
Fliegerleutnant ein „glühender Verehrer“ von ihr gewesen
war und sie „verehrt und geliebt“ habe. Das ehemalige
Dienstmädchen Ella Hagemann weiß heute noch zu
berichten, dass Henny Porten ihr erzählt hatte, Göring
selbst hätte sie heiraten wollen und habe darum auf die
Scheidung gedrängt. Porten erwähnte dies in ihrer
Autobiographie nicht, schrieb dort aber, dass Göring sie
fragte: „Warum treten Sie Ihr Glück so mit Füßen? ... Es
ist Ihnen doch klar, daß Sie heute an der Spitze des
Kulturlebens stehen würden, wenn Sie sich entschließen
könnten, sich von Ihrem Mann zu trennen?“ Als sie auf
seine Frage hin schilderte, welch schreckliches Leben
ihr Mann führen muss, antwortete Göring: „Ich sage
Ihnen, ich an seiner Stelle, ich hätte mir längst eine
Kugel durch den Kopf geschossen.“ Dennoch versprach er,
etwas für sie zu tun, obwohl der Film nicht sein Ressort
sei. Sein Rivale Goebbels, in dem die Porten einen
gefährlichen Gegner sah, versuchte auch prompt, dies zu
unterlaufen und erschwerte ihr die Weiterbeschäftigung
beim Film. Ziel aller war es aber offenbar, den „Fall
Porten“ nicht zum Skandal werden zu lassen; man beließ
sie mit einer „Sonderzulassung“ in der
Reichskulturkammer, versorgte sie finanziell mit einer
Art Grund-Gehalt, gab ihr aber keine größeren Rollen. So
erhielt sie bis 1943 nur sechs kleinere Rollen (zum Teil
auf eigene Initiative in Wien), wurde auf Betreiben
Görings 1937 zwar gegen Gage von der „Tobis“
eingestellt, jedoch auf Betreiben von Goebbels nicht
besetzt. Man demütigte sie, indem man sie zu wichtigen
Filmereignissen nicht mehr einlud.
29) Belach, S. 121-128.
19
20
Für Henny Porten war dies mehr als tragisch. Wenige
Jahre zuvor reflektierte sie noch rein theoretisch über
dieses Problem: „Ich arbeite leidenschaftlich gern, ich
würde todunglücklich sein, wenn ich einmal gar nichts zu
tun hätte, und ich verstehe nur allzugut die seelische
Not eines Menschen, der arbeiten möchte und für den es
keine Arbeit gibt.“ 30)
Finanzielle Probleme, Anfeindungen in der Presse und der
Nachbarschaft sowie die stets drohende Verhaftung und
Deportation des Ehemannes ergaben einen zermürbenden
Nervenkrieg. „Der berühmteste Filmstar Deutschlands
konnte nicht einmal mit dem Ehemann ins Kino gehen! Er
wurde zweimal ‚abgeholt‘. Sie hat ihn beide Male
befreit. Die höchsten Funktionäre Nazideutschlands haben
ihr Schlösser und Güter versprochen. Sie sollte als der
große deutsche Nationalstar herausposaunt werden. ...
Nur eines, eines: sie müsse sich offiziell scheiden
lassen! Das gerade tat sie nicht.“ 31) Das setzte der
empfindsamen Frau sehr zu; schon 1919 klagte sie: „Mein
Gefühl sträubt sich gegen das Häßliche und Böse. ... Es
ist nicht der Widerstand des Intellekts, sondern ich
empfinde einen fast rein physischen Ekel. So geht es mir
auch mit Menschen, die mir irgend etwas Böses zufügen
wollen. Ich stehe ihnen hilflos und wehrlos gegenüber.
Ich bin nicht imstande, mich gegen Verleumdungen oder
Gemeinheiten zu verteidigen.“ 32) Mehrfach musste das
Ehepaar in Berlin nun die Wohnung wechseln, da Dr.
Kaufmann von der Nachbarschaft angefeindet und
boykottiert wurde. Eine der Wohnungen hatte keine
Kochgelegenheit und der benachbarte Gastwirt verweigerte
ihnen den Zutritt. Schließlich war es wieder Göring, der
half und ihnen eine kleine Wohnung in Joachimsthal
zuweisen ließ.

Abb. 15:
Henny Porten auf dem Titelblatt von
„Illustrierte Deutsche Woche“, 1939
Eine Auswanderung wurde schon vorher ernsthaft erwogen
und sogar zunächst genehmigt: es kam aber nicht dazu, da
Dr. Kaufmanns Mutter schwer erkrankte und er sie nicht
allein zurücklassen wollte. Ein späterer Ausreiseantrag
wurde für ihn genehmigt, für die Porten aber nun
abgelehnt. Zwar gab ihr Carl Froelich, der seit 1939 als
Reichsfilmkammer-Präsident amtierte, 1943 noch die
Hauptrolle im Zweiteiler "Familie Buchholz" /
"Neigungsehe", einem Aufmunterungsfilm für das in
Trümmern lebende Publikum, doch die fast schon sichere
Karriere im nationalsozialistischen deutschen Film hatte
sich die Porten durch ihr unnachgiebiges Verhalten
verbaut - obgleich sie immer noch Titelseiten abgab
(Abb. 15). Während sie in „Familie Buchholz“
lustige Szenen drehen sollte, wurde ihr Mann von der
Gestapo verhaftet und abtransportiert. Sie drang
persönlich beim Reichsinnenminister und Reichsführer der
SS Heinrich Himmler vor, dessen Amt Dr. Kaufmann
sogleich wieder auf freien Fuß setzte.
30) Kintopp, 1932, S. 87.
31) Wie ich wurde, 1919, S. 55.
32) Wie ich wurde, 1919, S. 55.
20
21

Abb. 16:
Im 2.Stock der Hindenburghöhe 4
in Ratzeburg
lebte Henny Porten
von Mai 1945 bis Mai 1946.
Umzug nach Ratzeburg: Der Weg ins Abseits
Der Wohnsitz der Portens im Berliner Joachimsthal musste
bei Kriegsende im April 1945 auf Befehl der Wehrmacht
fluchtartig geräumt werden. „Sie hat alles verloren: ihr
schönes Berliner Heim, ihre Möbel, Schmuck, Kleider. Das
letzte wurde ihr auf ihrer wilden Flucht aus
Joachimsthal nach Ratzeburg gestohlen.“ 33)

Abb. 17:
Ansicht der Ratzeburger Hindenburghöhe.
In der
Mitte das Haus Hindenburghöhe 4
Dass ihr Weg sie ausgerechnet nach Ratzeburg führte, war
Zufall. Die Transport- bzw. Fluchtmöglichkeiten waren
rar und man fand schließlich einen Bus, der noch zwei
Plätze frei hatte und bis Ratzeburg fuhr. Als sie mit
ihren Koffern ausstiegen, begegneten sie angeblich dem
14jährigen Vicke Graf von Bassewitz, der für die Porten
schwärmte, sie gleich erkannte, ansprach und das Ehepaar
zu seiner Großmutter, Emmy von Weber, zur Hindenburghöhe
4 (Abb. 16) mitnahm. Frau von Weber stellte
kurzerhand zwei Betten in ihr Wohnzimmer, in dem das
Ehepaar vom 28. Mai 1945 an für ein Jahr sein
Unterkommen fand. Noch heute steht das große Haus mit
seinem Turm wie ein kleines Schloss weithin sichtbar
über dem Ratzeburger Domsee (Abb. 17) - mit
herrlichem Blick auf den Dom und das Herrenhaus am
gegenüberliegenden Ufer. Doch so feudal, wie die
Wohnsituation heute nach außen hin erscheinen mag, ist
sie damals nicht gewesen: Zeitweise waren bis zu 30
Personen im Haus untergebracht - ausgebombte Familien
aus Hamburg und Flüchtlinge aus dem Osten - und die
Notzeit nach dem Krieg forderte von der an Luxus
gewöhnten Henny Porten tief einschneidende
Einschränkungen. Eine private Unterkunft war in dieser
Zeit bereits außergewöhnlich, eine Unterbringung in
Lagern die Regel. Ratzeburg wurde von Flüchtlingen
förmlich überschwemmt (Abb. 18).
33) Willy Haas: Glanz und
Tragik Henny Portens. In: Die Welt, 25.5.1948.
21
22

Abb. 18
Flüchtlingstrecks auf dem
Ratzeburger Marktplatz
im April 1945
Schon 1943 hatte der Kreis Herzogtum Lauenburg ca.
10.000 vor den Bomben Geflohene aus Hamburg aufgenommen
und weit über das Kriegsende hinaus beherbergt. Seit
Ende 1944 setzte eine neue große Flüchtlingswelle mit
langen Wagentrecks aus dem Osten ein. Im Februar 1945
wurde in Ratzeburg eine Treckleitstelle errichtet.
Täglich kamen bis zu 2000 Menschen an und glaubten, in
Ratzeburg bleiben zu können. Marktplatz, Palmberg und
die Hauptstraßen glichen Lagern und die Stadt war schon
in den ersten Tagen überfüllt. Trotz Erschöpfung mussten
die Menschen weiterziehen, nur die Kranken blieben hier
zurück. Bis Mai 1945, als Henny Porten und ihr Mann in
Ratzeburg ankamen, wurden 78.713 Menschen mit 14.054
Wagen und 27.878 Pferden hier durchgeschleust. 34)
Im Erdgeschoss des Hauses Hindenburghöhe 4 wohnte die
Familie des Mittelschullehrers Gerhard Henke mit vier
Kindern, Familie Fritz Treitel und andere Flüchtlinge.
Im 1. Stockwerk Studienrat Dr. Hugo Schulz mit seiner
Mutter Auguste, seiner Frau und der Tochter Marieluise,
die 1945-47 bei Dr. Kaufmann Sprechstundenhilfe werden
sollte, sowie Frl. Wanda Schulz, Frau Müller und Frau
Huhoff mit ihrem Kind.
Das 2. Stockwerk teilten sich Amtsgerichtsrat Hans
Joachim von Weber und seine Mutter Emmy, deren Enkel
Graf Vicke von Bassewitz (geboren am 1. Juni 1930) sowie nunmehr Dr. Wilhelm von
Kaufmann und seine Frau Henny Porten, die sich gut in
die vielgestaltige Hausgemeinschaft einfügten. Mit
Marieluise spielte Henny Porten auf dem Klavier im
Erdgeschoss und wurde von den Hausbewohnern als „sehr
nett und freundlich“ geschildert. Viele Ratzeburger
erinnern sich heute noch an die Porten als Person von
einfacher, echter Menschlichkeit, naturnah und
erdgebunden – „aber immer noch eine Diva“.
Dr. Kaufmann benutzte ein im Erdgeschoss zeitweise frei
gewordenes Zimmer, um dort zu praktizieren. Drei Stühle
im Flur dienten als Wartezimmer. Mit Hilfe des „Vereins
der Verfolgten des Nazi-Regimes“ gelang es ihm, eine
bescheidene berufliche Karriere zu beginnen. 1945 konnte
er eine kleine Praxis in der Töpferstraße 4 einrichten,
wo er am Vormittag praktizierte; er teilte sich die
Räume mit einem Frauenarzt, der nachmittags Sprechstunde
hielt. Weiterhin hatte er von der Militärregierung die
Möglichkeit erhalten, ein Behelfskrankenhaus mit 170
34) Vgl. Hans Roggenkamp:
Treckleitstelle Ratzeburg. In: Lauenburgische Heimat,
N.F. H.34, 1961, S. 57.
22
23
Betten für Flüchtlinge in der Ratzeburger Below-Kaserne
einzurichten. Er kümmerte sich um die Patienten einer
provisorisch eingerichteten Seuchenstation, die in einem
kleinen Bau rechts an der Ecke zum Grünen Weg
untergebracht war. Dr. Kaufmann wird als großer,
kräftiger Herr geschildert, mit kleinen Beulen auf dem
Kopf - die Kinder witzelten: „Ersatzgehirne“. Er baute
das Krankenhaus aus, wobei er Garantien der
Landesregierung erhielt. Er behandelte rassisch
Verfolgte, Flüchtlinge und Russlandheimkehrer. Es wird
berichtet, dass Henny Porten dort auch mit den Patienten
gesungen habe und den ihr besonders begabt erscheinenden
Willy Müller zu einer Gesangskarriere animiert habe, die
immerhin in einem Fernsehauftritt im „Blauen Bock“
gipfelte. Dass die Porten - wie manchmal berichtet wurde
- als Sprechstundenhilfe bei ihrem Mann gearbeitet haben
soll, verweist Kaufmanns ehemalige Sprechstundenhilfe
mit einem kurzen, ungläubigen Auflachen in den Bereich
des Märchens.

Abb. 19:
Im 1.Stock der Schweriner Straße 42 in
Ratzeburg lebte Henny Porten von 1946 bis 1957.
Rechts
das Auto des Ehemannes Dr. Kaufmann.
Am 1. Mai 1946 zog das Ehepaar in die Schweriner Straße
42 um. Man bewohnte aber nur das obere Stockwerk des
Hauses; im Erdgeschoss lebten Berta und Wilhelm
Grabenstedt, die Eltern der Ehefrau des Hauseigentümers
Werner Müller. Im Tiefgeschoss wohnte das Ehepaar Alex
und Gisela Galay, die sich heute noch an Henny Porten
erinnert: Großzügig hätten sie schon gelebt; aber
Schulden hätten sie gehabt, als sie Ratzeburg wieder
verließen. „Sie konnten sich halt nicht nach ihrem
Geldbeutel richten.“ Und Kinder hätte die Porten gerne
gehabt, sie, die so oft das deutsche Mutterglück im Film
verkörpert hatte. Jeden Tag habe sie sich mit kaltem
Wasser von Kopf bis Fuß gewaschen. Ein Auto hatte sie
nicht, dafür sei sie zu ängstlich gewesen, manchmal sei
sie mit dem Taxi von Herrn Möller aus Einhaus abgeholt
worden.
23
24
Ein Foto des Hauses aus der Zeit (Abb. 19) zeigt
rechts davor das Auto (ein DKW) von Dr. Kaufmann mit dem
schwarzen Nummernschild der unmittelbaren Nachkriegszeit
mit der Nummer 28-3051. In einem Raum im Erdgeschoss
(auf dem Foto hinter den Fenstern mit den Vorhängen)
hatte er ein kleines Labor eingerichtet, das er aber
angeblich nur selten nutzte.
Für Henny Porten führte der Ortswechsel nach Ratzeburg
beruflich endgültig ins Abseits. Nicht nur die
geographische Lage Ratzeburgs war hierfür entscheidend,
die Porten war nach dem Zweiten Weltkrieg einfach zu
einem Relikt aus einer anderen Zeit geworden - der
Abstand zu den Glanztagen zu groß. Filmangebote gab es
zunächst keine und so spielte sie im Oktober 1947 wieder
auf einer Bühne im näheren Umkreis: Wulf Leisner holte
sie für das Bühnenstück „Sophienlund“ an die Lübecker
„Komödie“. Willy Haas schrieb in dieser Zeit über sie in
der Tageszeitung „Die Welt“: „Vieles ist von ihr
abgefallen, viele Illusionen, kleine Eitelkeiten, die
Glorie und Hast des Filmstars, immer umringt von
Verehrern. Man sieht heute erst, was für eine
wundervolle Frau sie immer war und heute erst recht
ist.“ 35)
Es folgten Aufführungen im Eppendorfer Gemeindesaal: Das
Theater „Die Auslese“ spielte „Die erste Mrs. Selby“ mit
Henny Porten in der Titelrolle. Ende 1949 gab ihr die
Hamburger Real-Film eine kleine Nebenrolle in "Absender
unbekannt", ansonsten machte ihr der westdeutsche Film
keine akzeptablen Angebote mehr. Manchmal fuhr sie für
Sprechrollen im Rundfunk nach Hamburg.
Es war eine zermürbende Zeit vergeblichen Wartens und
Hoffens auf ein Comeback. Als keine Heimkehrer aus
Russland mehr zu erwarten waren, kündigte die
Landesregierung den Vertrag ihres Mannes, die Praxis
lief schlecht und das Ehepaar war nun mehr denn je auf
Hilfe von Freunden und Verehrern angewiesen.
Hilfsangebote aus den USA trafen ein, jedoch riet man
ihr von einer Übersiedelung ab, da „ihre
Arbeitsmöglichkeiten hier gleich null wären.“ Ernst
Lubitsch, der dort inzwischen Karriere gemacht hatte,
schickte Care-Pakete mit Kaffee und Lebensmitteln, rief
eine Sammelaktion für sie ins Leben und weckte neue
Hoffnung, indem er ihr von seinem Sekretariat mitteilen
ließ, dass er „große Pläne“ mit ihr vorhabe – doch kurz
darauf verstarb er. Ein Bewunderer aus Kalifornien
initiierte sogar einen „Henny Porten Fund“. Demütigende
Berichte über ihre Not gingen durch die Presse. Ein
regionaler Filmtheaterverband verfasste eine Resolution,
in der die Wiederbeschäftigung der Porten im
westdeutschen Film gefordert wurde. „Wie es mit uns
weitergehen soll ... das weiß der Himmel. Im Augenblick
ist es die Liebe der Menschen, die mich aufrecht hält!
Auf die vielen Berichte, die über mich in den Zeitungen
erscheinen - erhalte ich Berge von Briefen! ... Man
hängt an mir - man wartet auf mich - der Glaube an mich
als Künstlerin ist unerschütterlich - aber der „Deutsche
Film“ schweigt.“ 36)
Sie brauchte das Rampenlicht, die Premieren und die
großen Auftritte. Doch der große Star von einst gab sich
durchaus wählerisch: Rollenangebote, die ihr
künstlerisch nicht zusagten oder kleine Nebenrollen
lehnte sie ab. Sie wartete, vertrieb sich die Zeit, fuhr
oft nach Scharbeutz, wo sie bei einem befreundeten
Ehepaar umsonst wohnen durfte, Strandspaziergänge machte
und sich im Speerwerfen übte. Doch die Verzweiflung über
die Untätigkeit im Abseits saß tief. Joachim Brackmann
berichtete: „Stets trug sie einen kleinen Koffer mit
sich herum, der mit vergilbten Kritiken und alten Fotos
gefüllt war - den Stationen ihres Ruhms.“ 37)
35) Ebd.
36) Belach, S. 144.
37) Joachim Brackmann Epilog zu: „Der rote Graf“
von Alexander Stenbock-Fermor, 1973
24
25
Ihre Lebensverhältnisse in Ratzeburg waren erbärmlich
und vom einstigen luxuriösen Lebensstil war kaum mehr
etwas geblieben - aber einen Rest davon wollte sie sich
aus Selbstachtung dennoch erhalten. Dazu gehörte eine
gepflegte Frisur und entsprechende Garderobe. Martha
Kaden arbeitete um 1950 im Hut- und Modegeschäft Hilda
Möhler in Ratzeburg und erinnert sich noch, wie Henny
Porten zu jeder Saison neue Garderobe und Hüte eigens
anfertigen und sich ins Haus liefern ließ. Bei den Hüten
mussten stets - ausgehend von einem ausgewählten
Grundmodell - Wünsche zu Farbe, Form und Beiwerk
berücksichtigt werden. Die damals 21jährige Hutmacherin
freute sich, als ihr im November die Porten ein
Autogramm mit eigenhändiger Widmung überreichte: „Der
kleinen Martha zur Erinnerung an Henny Porten“ - die
Aufnahme zeigte sie mit dem von Martha Karden
angefertigten Hut und wurde in Frankfurt am Main
aufgenommen (Abb. 20).

Abb. 20:
Henny Porten mit einem in Ratzeburg für sie
angefertigten Hut.
Das Autogramm „Der kleinen Martha zur
Erinnerung an
Henny Porten“ überreichte Sie der
Hutmacherin im November 1950.
Auch wollte die Porten auf die Unterstützung von zwei
Dienstmädchen nicht verzichten, die sich von 7 bis 19
Uhr in der Zwei-Zimmer-Wohnung aufhielten und die
Funktionen von Zofe, Köchin und Putzfrau gleichermaßen
erfüllen mussten. Eine davon, Lisbeth Kost, arbeitete
unentgeltlich, aus Begeisterung darüber, in der Nähe des
großen Filmstars zu sein; die zweite, Ella Paesch
(später verheiratete Hagemann), bekam 40 Mark im Monat
und war 1947-48 im Hause. Sie erinnert sich noch gut an
ihre Herrschaft: „Die Henny Porten musste ja immer
jemand um sich haben. Die Lisbeth musste abends mit ihr
spazieren gehen, tagsüber ging die Henny nur selten
raus. Meist saß sie im Schlafzimmer – ich weiß gar
nicht, was sie den ganzen Tag über gemacht hat. Die
Wohnung hatte nur zwei Zimmer: ein Wohnzimmer und ein
Schlafzimmer, dazu eine primitive Küche und ein Bad mit
einer freistehenden Wanne, die aber nur selten benutzt
wurde, da wir das Wasser auf einem Gaskocher heiß machen
mussten. Morgens mussten wir dann immer ins Schlafzimmer
gehen und sagen: „Frau Doktor, wie geht es Ihnen? Haben
Sie gut geschlafen?“ Eigentlich wollte sie mit „gnädige
Frau“ angeredet werden, aber wir beließen es immer bei
„Frau Doktor“. Dann brachten wir ihr den Kaffee, den
kriegte sie immer in großen Dosen aus Amerika geschickt.
Da hat sie uns doch tatsächlich angeboten, dass wir uns
davon einen zweiten Aufguss machen dürften! Nach dem
Frühstück machte sie sich mindestens zwei Stunden die
Haare (manchmal
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kam auch die Friseuse Magda Hannig). Auf
eine gute Frisur legte sie großen Wert - und auch auf
die Garderobe, da hatte sie schöne Sachen. Als sie beim
Rundfunk eine kleine Sprechrolle in Hamburg bekam,
mussten wir ihr Samtkleid über dem Wasserkessel
aufdünsten. Sie konnte sehr nett sein und interessant
von ihrer Filmzeit erzählen, aber das konnte sich von
einer Minute zur anderen ändern und dann hatte sie ihre
Launen, aber so was von Launen! Sie dachte halt immer
noch, sie wäre der Star von früher. Sie war aber auch
oft verzweifelt. Wenn sie erledigt war, fuhr sie nach
Scharbeutz, dort konnte sie umsonst wohnen. Die
Ratzeburger Wohnung war sehr primitiv eingerichtet: ein
Tisch, ein Schrank, ein Ofen und ein brandfleckiger
Teppich. Ein Radio, vor dem der Dr. Kaufmann immer saß
und Opern hörte - das war auch schon alles. Er nannte
sie immer „Hasi“, aber abends ging er immer ins
„Fährhaus“ und wenn sie mal weg war, sowieso. Die Praxis
lief ja nicht so gut, er ging morgens immer pünktlich um
8 Uhr aus dem Haus, war aber um 10 Uhr schon wieder da -
es kamen ja kaum Patienten. Auch Besuche waren selten.
Post kam auch nicht mehr so viel, die Briefe hat sie uns
oft vorgelesen, darunter waren auch viele englische.
Manchmal kamen Pakete aus Amerika mit Kaffee und kleinen
Dosen. Meist gab es nur aus diesen Dosen zu essen und
das, was im Garten wuchs. Einmal haben sie ein Foto
machen lassen, nach dem Motto ‚so beliebt ist Henny
Porten immer noch‘ und sie haben den ganzen Tisch voll
leerer Kartons gestellt und der Briefträger musste sich
mit seiner Post dazustellen.“
1951 startete ein Filmverleih eine „Hilfsaktion“ und
schickte sie mit den Filmen „Familie Buchholz“ und
„Neigungsehe“ auf eine Tournee durch Süddeutschland. Für
einige Monate linderte das die schlimmsten finanziellen
Sorgen.

Abb. 21:
Signierte Autogrammkarte der DEFA,
hrsg. vom
Presse- und Werbedienst
des VEB Progress
Film-Vertriebes, um 1955
Letzte Möglichkeiten in der DDR: „Carola Lamberti“
Henny Porten folgte schließlich einer Einladung der DEFA
und reiste 1953 in die DDR, wo sie die Filme "Carola
Lamberti - eine vom Zirkus" und wenig später "Das
Fräulein von Scuderi" drehte (Abb. 21/22). Eine
politisch gewagte Entscheidung, in „die Zone“ zu gehen,
musste sie doch damit rechnen, sich in der Zeit des
kalten Krieges im Westen noch mehr ins Abseits zu
stellen. Doch sie kämpfte bereits mit dem Rücken zur
Wand. Sicherlich war neben der wirtschaftlichen
Notwendigkeit auch das Wiedersehen mit dem alten
Ufa-Gelände in Berlin Babelsberg ein Beweggrund.
Tatsächlich traf sie dort,
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Abb. 22:
Filmprogrammheft (Progress Filmillustrierte)
für
„Carola Lamberti – eine vom Zirkus“
mit Henny Porten
in der Titelrolle, 1954
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wie erhofft, auf alte
Bekannte und wurde sehr herzlich aufgenommen. Die erste
Drehbuchbesprechung fand ausgerechnet am Tag des
Volksaufstandes, am 17. Juni 1953, statt. Die Einladung
kam überraschend und die Abreise aus Ratzeburg war
überstürzt, alles musste sehr schnell gehen. Vor
Aufregung putzte sie sich ihre Zähne mit Schuhcreme und
musste sich übergeben. Der Vorsitzende des Staatlichen
Filmkomitees konnte beim russischen Stadtkommandanten
eine Ausnahmegenehmigung erwirken, da dieser ein
Porten-Fan war - ihre Stummfilme waren auch in Russland
sehr beliebt gewesen. Für eine Stunde wurde eigens für
sie der Durchgang am Brandenburger Tor offen gehalten.
Der Taxifahrer wollte sie nicht bis dorthin fahren.
„Wissen Sie denn nicht, dass da drüben Kriegszustand
ist?“ warnte er, doch die Porten ging mit ihrem Gepäck
zu Fuß hinüber.
Auf dem Kinoplakat zum Film „Carola Lamberti“ war später
zu lesen: „Die triumphale Rückkehr der Henny Porten“.
Doch das ersehnte große Comeback, das den Ruhm ihrer
Glanzzeiten wieder aufleben lassen sollte, wurde es
nicht. In der Westpresse verketzerte man ihr Handeln
meist als "Überlaufen", die lokalen „Lübecker
Nachrichten“ verschwiegen die Kinostarts der Filme
„Carola Lamberti“ am 9. Dezember 1954 und von „Das
Fräulein von Scuderi“ am 29. Juli 1955.
Nach Abschluss der Dreharbeiten kehrte sie stets nach
Ratzeburg zurück. Sie war mit Irma Grießhammer, der
Besitzerin des „Central-Theaters“ in der Großen
Kreuzstraße in Ratzeburg (später „Hotel Fürst
Bismarck“), befreundet. Diese zeigte dort den Film
„Carola Lamberti“. Henny Porten war bei der Aufführung
am 17. Januar 1956 persönlich anwesend und verneigte
sich auf der Bühne unter großem Beifall vor
ausverkauftem Haus. Die „Lübecker Nachrichten“
berichteten unter der Überschrift „Film für ganz
Deutschland“: „ ... es sei ihr innigster Wunsch gewesen,
daß dieser Film in GANZ
DEUTSCHLAND
gespielt würde. Dieser Wunsch sei nun in Erfüllung
gegangen; darüber sei sie sehr glücklich.“ 38) Porten
erläuterte persönlich ihre Filmrolle und fügte unter
großem Applaus hinzu, dass sie nicht nur auf Besuch in
Ratzeburg sei, sondern dort „beheimatet“. Schon 1946 war
mit ebenso großem Erfolg unter persönlicher Anwesenheit
der Porten in der Ratzeburger „Schauburg“ der Film
„Familie Buchholz“ gezeigt worden. Bewohner der
Hindenburghöhe berichteten von einem anschließenden Fest
im von Kerzen illuminierten Garten, bei dem es zwar
aufgrund der schweren Zeiten kaum etwas zu essen und zu
trinken gegeben hätte, aber alle glücklich und zufrieden
gewesen wären.
Doch nicht alle in Ratzeburg sind Henny Porten bis heute
wohl gesonnen. Ein Friseur, der sie als Kind im Salon
des Vaters erlebt hatte, sieht sie eher distanziert: Den
„Star“ hätte sie schon sehr herausgekehrt, und bedient
wollte sie werden, wie eine große Diva und Kaffee wollte
sie, wo es zu der Zeit doch gar keinen gegeben hätte -
das Gesamturteil fällt nicht gut aus: „eine unmögliche
Frau“.
Ihr Vertrag mit der DEFA wurde nicht verlängert, weil
sie dem Drängen nicht nachgab, ganz in die DDR zu
übersiedeln. Dr. Kaufmann musste im September 1956 seine
Praxis aufgeben. Entgegen dem Trend der
Wirtschaftswunderzeit wurde die wirtschaftliche
Situation des Ehepaares immer schlechter. Sie bat erneut
über die Presse um Beschäftigung beim Film - erfolg-
38) Lübecker Nachrichten,
17.1.1956.
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los,
obwohl sie 1956 bei den Internationalen Filmfestspielen
in Berlin noch einmal zusammen mit internationaler
Prominenz auftrat und bejubelt wurde. 1958 spielte sie
in dem Film „Das gab’s nur einmal“ sich selbst, neben
anderen Stummfilmstars. Doch dieser Film war im Grunde
nichts anderes als ein Abgesang auf die Stars von
gestern und vorgestern. Zwar machte sie die Akademie der
Darstellenden Künste in Hamburg zu ihrem Ehrenmitglied,
aber die Filmangebote fehlten weiterhin oder waren für
die Porten inakzeptabel, denn das Mitspracherecht und
den künstlerischen Anspruch wollte sie sich auch jetzt
nicht abkaufen lassen. Es war still geworden um Henny
Porten und einen Artikel zu ihrem 60.Geburtstag sucht
man in der lokalen Presse vergeblich.
Dem Ehepaar wurde vom Hausbesitzer wegen Eigenbedarfs
die Wohnung in der Schweriner Straße gekündigt; der in
Hamburg lebende Ingenieur bei Bloom & Voss ging in
Ruhestand und wollte in sein Haus nach Ratzeburg
zurückkehren. Am 19. Februar 1957 meldeten sie sich in
Ratzeburg ab und zogen - nach einem längeren Aufenthalt
der Porten in Scharbeutz - zurück nach Berlin, wo
Wilhelm von Kaufmann am 21. Oktober 1959 starb. Ihre
Lebenserinnerungen unter dem Titel „Der Film meines
Lebens“ sprach sie auf Tonband, hoffte heimlich auf eine
Verfilmung, doch es fand sich nicht einmal ein Verleger,
der die Memoiren als Buch herausbringen wollte. Es ging
ihr gesundheitlich wie finanziell sehr schlecht und der
Berliner Senat unterstützte sie mit einem „Ehrensold“.
Im Mai 1960 verlieh man ihr im Krankenbett das
Bundesverdienstkreuz, wenig später, am 15. Oktober 1960,
starb sie in Berlin und wurde unter großer Anteilnahme
der Bevölkerung - die Presse berichtete von 2000
Menschen - beigesetzt. 1985 erklärte der Berliner Senat
ihr Grab auf dem Kirchhof der
Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Gemeinde zum Ehrengrab und
1986 wurde ihr eine Retrospektive anlässlich der
Berliner Filmfestspiele gewidmet.
Auch wenn ihre ehemaligen Wohnstätten in Ratzeburg nicht
zum Pilgerort für Cineasten geworden sind und der Glanz
der Porten zunehmend in Vergessenheit geraten ist - ein
wichtiges und interessantes Stück früher deutscher
Filmgeschichte wird sie für immer bleiben.
Literaturauswahl:
Henny Porten: Wie ich wurde. Selbstbiographie. Mit einem
Geleitwort. Berlin 1919, 69 S. mit Abbildungstafeln (in
Form einer Autobiographie, aber nicht von ihr selbst
verfasst und nicht von ihr autorisiert)
Gustaf Holberg: Henny Porten. Eine Biographie unserer
beliebten Filmkünstlerin. Berlin o.J. [1920], 87 S. mit
10 Abbildungstafeln.
Henny Porten: Vom „Kintopp“ zum Tonfilm. Ein Stück
miterlebter Filmgeschichte. Dresden 1932, 125 S. mit
Abbildungstafeln (angeblich von ihr selbst verfasst)
Henny Porten: Der Film meines Lebens. In: Neue
Illustrierte Köln, Nr.20, 17.5.1958 und Nr.30,
26.7.1958.
Helga Belach: Henny Porten. Der erste deutsche Filmstar
1890 - 1960. Berlin 1986, 240 S. mit Abbildungen. Mit
einer ausführlichen Filmographie (S.171-232).
Zusatz: Das Haus in der Schweriner
Straße, in dem Henny Porten lange gelebt hatte, fiel
2012 der Spitzhacke zum Opfer.
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